Staffel 2: Lenas Kampf – Stalking
Hier entsteht eine neue Staffel, die ein unglaublich wichtiges gesellschaftliches Thema berührt, das vom Strafrecht in der Schweiz bislang nicht ausreichend adressiert wurde: Stalking.
-
Folge 1: Doris stell sich und diesen Podcast vor
Zusammenfassung dieser Folge:
Zum Start der neuen Staffel gewährt der Strafrechts-Podcast “Akte Kramer” in einer Spezialfolge einen exklusiven Blick hinter die Kulissen. In einem ungewohnten Rollentausch übernimmt Strafverteidiger Max Kramer das Mikrofon und rückt die sonst moderierende Juristin Doris ins Rampenlicht. Die Hörer erfahren dabei nicht nur persönliche Details über die “Anwältin des Publikums”, sondern erhalten vor allem Antworten auf die grossen Fragen: Was ist die Mission hinter “Akte Kramer”? Und was ist das einzigartige Geheimnis hinter der Produktion des Podcasts, der die Zusammenarbeit von Mensch und künstlicher Intelligenz (KI) auf eine neue Ebene hebt? Eine offene und aufschlussreiche Spezialfolge, die mit einer Vorschau auf den neuen, fesselnden Fall “Lenas Kampf” gegen Stalking neugierig auf mehr macht.
Details dieser Folge:
Die Spezialfolge dient als Auftakt zur neuen Staffel und gibt einen Einblick hinter die Kulissen des Podcasts. In einem umgekehrten Rollenspiel interviewt Strafverteidiger Max Kramer ausnahmsweise die Moderatorin Doris.
Teil 1: Die Person hinter der Moderatorin Doris
- Die Enthüllung: Doris, die im Podcast die Rolle der “Anwältin des Publikums” einnimmt und aus Laienperspektive fragt, ist in Wirklichkeit selbst eine hochqualifizierte Juristin.
- Beruflicher Werdegang:
- Sie ist gebürtige Bernerin und hat an der Universität Bern Jura studiert.
- Ihre ursprüngliche Motivation war idealistisch: Sie wollte mit Logik und Worten für Gerechtigkeit kämpfen und den Schwächeren eine Stimme geben.
- Nach dem Studium spezialisierte sie sich auf Familienrecht und arbeitete als Anwältin hauptsächlich in Scheidungsfällen, wo sie fast ausschliesslich Frauen vertrat. Diese Arbeit war emotional sehr fordernd.
- Privates: Neben Joggen an der Aare und Reisen hat sie ein neues Hobby: das Fermentieren von Lebensmitteln wie Sauerkraut oder Kombucha.
- Frauen im Strafrecht: Auf Max’ Frage, warum es so wenige Strafverteidigerinnen gibt, nennt Doris mehrere Gründe:
- Die Branche ist eine historische Männerdomäne (“Old Boys’ Club”).
- Der oft konfrontative Ton kann abschreckend wirken.
- Die 24/7-Verfügbarkeit ist schwer mit dem Privatleben vereinbar.
- Sicherheitsbedenken im Umgang mit männlichen Klienten aus gewaltbereiten Milieus.
- Die hohe psychische Belastung, sich mit schweren Straftaten zu befassen.
- Es gibt aber hervorragende Strafverteidigerinnen, und das ist eine grosse Bereicherung für das Justizsystem.
Teil 2: Die Mission und Machart des Podcasts “Akte Kramer”
- Kernmission: Die zentrale Idee ist die “Demokratisierung von Wissen”. Der Podcast soll die “Informationsasymmetrie” zwischen dem gut ausgestatteten Staat (Polizei, Justiz) und dem einzelnen Bürger im Strafrecht verringern.
- Warum Strafrecht?:
- Das Thema betrifft mehr Menschen als gedacht. Mit rund 100.000 Strafbefehlen pro Jahr in der Schweiz kommt statistisch gesehen jeder 90. Bürger jährlich mit dem Strafrecht in Berührung. Der Podcast soll aber auch Opfern helfen, ihre Rechte zu verstehen.
- Gleichzeitig wird betont, dass es nicht um ein “Bürger gegen Staat”-Szenario geht, da die Schweizer Strafjustiz (Polizei, Staatsanwaltschaften, Gerichte) in weiten Teilen sehr gut funktioniert und eine wichtige, anerkennenswerte Arbeit für die Gesellschaft leistet.
- Die wichtige Botschaft zur Machart:
- Die Sprecher Max und Doris sind fiktive Figuren, die von KI-Avataren verkörpert werden.
- Der Inhalt ist jedoch nicht rein maschinell erzeugt. Es handelt sich um ein Hybrid-Modell:
- Die KI dient als “Sparringspartner”, liefert Ideen und erstellt Dialogentwürfe.
- Ein rechtlich informierter Mensch übernimmt die finale inhaltliche Kontrolle. Er erstellt insbesondere alle juristischen Analysen anhand von Gesetzen, Gerichtsentscheiden und der Rechtslehre, um die Richtigkeit und Praxisnähe sicherzustellen.
- Die Zukunft der Anwaltschaft und KI:
- KI wird Anwälte nicht ersetzen, aber ihre Arbeit verändern. Routineaufgaben (Recherche, Standard-Schriftsätze) werden in absehbarer Zukunft von KI-gestützten Assistenten erledigt.
- Anwälte können sich dadurch auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren: Strategieentwicklung, persönliche Beratung, emotionale Betreuung des Mandanten und die Verhandlung vor Gericht.
- Wichtiger Hinweis und Ausblick:
- Im Podcast wird betont, dass ein KI-Assistent keinen echten Anwalt ersetzt. Wer in ein Strafverfahren gerät, sollte sich unbedingt an einen Anwalt aus Fleisch und Blut wenden.
- Zum Abschluss wird der Fall der neuen Staffel angeteasert: Er trägt den Titel “Lenas Kampf”. Ein Kampf gegen Stalking.
-
Folge 2: Die erste Narbe
Teil 1: Geschichte in dieser Folge:
Alles beginnt mit dem Albtraum jedes Autobesitzers: einem tiefen Kratzer im Lack des nagelneuen Autos von Max’ Nichte Lena. Doch was zunächst wie ein banaler Vandalenakt wirkt, entpuppt sich schnell als der erste Schatten auf Lenas sonniges Leben. Der Kratzer ist mehr als nur ein Sachschaden – er ist die erste tiefe Narbe in “Lenas Kampf” und pflanzt den giftigen Samen des Misstrauens in den Kopf einer jungen Frau, die glaubte, keine Feinde zu haben.
Teil 2: Rechtliche Fragen in dieser Folge:
1. Strafanzeige, Strafantrag und die Rolle des Geschädigten / Opfers im Strafverfahren
Dieser Block befasst sich mit den ersten formellen Schritten, die ein Geschädigter resp. Opfer nach einer Straftat unternehmen muss, und den rechtlichen Unterschieden, die für den weiteren Verlauf des Verfahrens entscheidend sind.
Wichtigste Rechtsfragen:
- Wo und wie erstattet man eine Strafanzeige am effektivsten?
Man kann bei jedem Polizeiposten in der Schweiz eine Anzeige erstatten. Um das Verfahren zu beschleunigen, ist es jedoch ratsam, direkt zur Polizei im Kanton zu gehen, in dem die Tat begangen wurde. Alternativ kann die Anzeige bei komplexeren Fällen direkt bei der zuständigen Staatsanwaltschaft eingereicht werden, um dem Fall von Anfang an mehr Gewicht zu verleihen. Bemerkung: Insbesondere im Zusammenhang mit einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft sollte auf anwaltliche Unterstützung keinesfalls verzichtet werden. - Was ist der Unterschied zwischen einer blossen Anzeige und einem Strafantrag mit Konstituierung als Privatkläger?
Eine blosse Anzeige informiert die Behörden nur über eine Straftat; der Anzeigende hat kaum Rechte (er ist quasi nur ein „Zuschauer“). Stellt man zusätzlich einen Strafantrag und konstituiert sich als Privatkläger, wird man zur aktiven Partei im Verfahren. Man erhält dann Akteneinsichtsrecht, kann Beweisanträge stellen und im Strafverfahren direkt Schadenersatz oder Genugtuung fordern. - Was ist der Unterschied zwischen Offizial- und Antragsdelikten?
Offizialdelikte: Der Staat muss diese Delikte von sich aus („von Amts wegen“) verfolgen, sobald er davon Kenntnis erlangt. Offizialdelikte stellen im Schweizerischen Strafgesetzbuch (StGB) die Regel dar. Darunter fallen nicht nur schwere Verbrechen wie Raub oder schwere Körperverletzung, sondern auch eine Vielzahl von etwas weniger schweren Straftaten, sogenannten Vergehen. Beispiele hierfür sind Nötigung oder Warenfälschung.
Antragsdelikte: Dies sind in der Regel „leichtere“ Vergehen (z. B. einfache Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Beschimpfung, je nach Konstellation auch die einfache Körperverletzung), bei denen der Staat das Verfolgungsinteresse dem Opfer überlässt. Die Behörden werden nur dann tätig, wenn das Opfer ausdrücklich einen Strafantrag stellt. - Gibt es eine Frist für den Strafantrag?
Ja, die Frist beträgt drei Monate. Sie beginnt an dem Tag, an dem das Opfer erfährt, wer der Täter ist. Kennt man den Täter nicht, muss der Antrag gegen Unbekannt gestellt werden, um die Frist sicher zu wahren. - Sollte man immer Strafantrag stellen und sich als Privatkläger konstituieren?
Nicht zwingend. Da die Rolle des Privatklägers auch mit Prozess- und Kostenrisiken verbunden ist, sollte dieser Schritt – insbesondere der mögliche Nutzen im Verhältnis zum Aufwand – idealerweise vorab mit einem Anwalt geprüft werden.
2. Pflichten und Konsequenzen bei einem Verkehrsunfall
Dieser Block behandelt die rechtliche Situation, wenn der Schaden nicht mutwillig, sondern durch einen Unfall entstanden ist und der Verursacher sich vom Unfallort entfernt hat.
Wichtigste Rechtsfragen:
- Welche Pflichten hat man als Verursacher eines Verkehrsunfalls, auch bei Bagatellschäden?
Man muss sofort anhalten, den Geschädigten benachrichtigen oder, falls dieser nicht anwesend ist, eine angemessene Zeit warten (ca. 30 Minuten). Ist danach immer noch niemand da, muss man unverzüglich die Polizei verständigen (Anruf bei 117). - Reicht es aus, nach einem Parkschaden einen Zettel mit den Kontaktdaten am beschädigten Auto zu hinterlassen?
Nein, absolut nicht. Ein Zettel unter dem Scheibenwischer ist rechtlich wertlos und entbindet nicht von der Pflicht, die Polizei zu rufen, wenn der Geschädigte nicht ausfindig gemacht werden kann. - Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei Verlassen der Unfallstelle?
Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort ist als „pflichtwidriges Verhalten bei einem Unfall“ strafbar. Zusätzlich kann es als „Vereitelung einer Massnahme zur Feststellung der Fahrunfähigkeit“ gewertet werden. Das Gesetz unterstellt, dass der Flüchtende sich einer möglichen Alkoholkontrolle entziehen wollte. Dies kann zu massiven Strafen bis hin zum Führerscheinentzug führen, selbst wenn man nüchtern war.
3. Beweismittel und Beweisverwertungsverbote bei privaten Videoaufnahmen
Dieser Block erklärt, warum ein scheinbar perfekter Beweis, wie ein von einer Privatperson aufgenommenes Video, vor Gericht möglicherweise nicht verwendet werden darf.
Wichtigste Rechtsfragen:
- Ist ein von einer Privatperson heimlich gefilmtes Video einer Straftat als Beweis vor Gericht zulässig?
In der Regel nein, vor allem nicht bei leichten bis mittelschweren Delikten. Das ungefragte Filmen stellt eine Persönlichkeitsverletzung dar und der Beweis gilt somit als rechtswidrig erlangt. - Unter welchen Umständen kann ein privat und rechtswidrig erlangter Beweis ausnahmsweise doch verwendet werden?
Ein solcher Beweis ist nur dann verwertbar, wenn zwei Bedingungen kumulativ erfüllt sind:- Die Strafverfolgungsbehörden hätten selbst den Beweis auf legalem Weg ebenfalls beschaffen können.
- Eine Interessensabwägung ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Aufklärung der Straftat das private Interesse des Täters am Schutz seiner Privatsphäre überwiegt.
- Wie fällt diese Interessensabwägung bei einer Sachbeschädigung (zerkratztes Auto) aus?
Bei einer Sachbeschädigung handelt es sich nicht um eine schwere Straftat. Daher wiegt das Recht des Täters auf seine Privatsphäre schwerer als das öffentliche Interesse an der Aufklärung des Kratzers. Das Video wäre mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht als Beweis verwertbar.
- Wo und wie erstattet man eine Strafanzeige am effektivsten?
-
Folge 3: Zwischen Bagatelle und Bedrohung
Teil 1: Geschichte in dieser Folge:
Für die Staatsanwaltschaft ist der Kratzer am Auto ein bedauerlicher aber simpler Vandalenakt ohne Spuren. Für Lena und ihren Onkel Max ist es der Beginn einer wachsenden Angst, die durch mysteriöse Online-Anfragen eines Unbekannten weiter geschürt wird. Die Episode beleuchtet die schmerzhafte Kluft zwischen der nüchternen Logik des Gesetzes, das Beweise fordert, und der emotionalen Realität eines Opfers, das spürt: Das hier ist mehr als nur ein Zufall. Ist das der Beginn von Cyberstalking?
Teil 2: Rechtliche Fragen in dieser Folge:
A. Schweizer Strafprozess – Die drei Phasen
Überblick
Ein Strafverfahren ist kein linearer Durchlauf „Polizei → Gericht → Urteil“, sondern gliedert sich in Etappen mit verschiedenen Ausgängen. Formal unterscheidet die Strafprozessordnung (StPO):
- Vorverfahren: Umfasst das polizeiliche Ermittlungsverfahren und die Untersuchung der Staatsanwaltschaft. Ziel ist es, zu klären, ob das Verfahren an ein Gericht überwiesen (Anklage) oder auf andere Weise abgeschlossen werden soll.
- Hauptverfahren: Die öffentliche Hauptverhandlung und das Urteil vor dem erstinstanzlichen Gericht.
- Rechtsmittelverfahren: Beschwerde, Berufung, Revision; danach gegebenenfalls gar der Weiterzug ans Bundesgericht.
1. Das Vorverfahren
Recht auf Verteidigung der ersten Stunde
Sobald ein Strafverfahren beginnt, hat die beschuldigte Person das Recht auf einen «Verteidiger der ersten Stunde» (Art. 159 StPO). Das bedeutet, dass bereits bei der ersten polizeilichen Einvernahme eine Verteidigung anwesend sein darf.
1a) Polizeiliche Ermittlungsverfahren
- Start: Das Verfahren beginnt z. Bsp. durch eine Anzeige, einen Strafantrag oder eigene Feststellungen der Polizei.
- Aufgaben: Die Polizei sichert Spuren, befragt geschädigte und tatverdächtige Personen und kann Zwangsmassnahmen wie Anhaltungen oder vorläufige Festnahmen durchführen. Sie stellt auf der Grundlage von Anweisungen der Staatsanwaltschaft oder eigenen Feststellungen den für eine Straftat relevanten Sachverhalt fest (Art. 306 StPO).
- Praxis: Bei schweren Straftaten informiert die Polizei die Staatsanwaltschaft umgehend, welche die Untersuchung eröffnet. Bei sogenannter Alltagskriminalität führt die Polizei die Ermittlungen oft weitgehend eigenständig zu Ende und übermittelt ihre Berichte danach an die Staatsanwaltschaft.
- Typische Akten: Polizeirapport, Spurensicherungsprotokolle, Einvernahmeprotokolle.
1b) Staatsanwaltschaftliche Untersuchungsverfahren
- Leitung: Die Staatsanwaltschaft ist die “Herrin des Vorverfahrens” und leitet die Untersuchung (Verfahrensleitung).
- Eröffnung: Die Staatsanwaltschaft eröffnet nach Art. 309 Abs. 1 StPO eine Untersuchung mittels Verfügung, wenn
- ein hinreichender Tatverdacht besteht,
- eine Zwangsmassnahmen angeordnet wird,
- oder die Staatsanwaltschaft über den Verdacht auf eine schwere Straftat informiert wird.
- Ermittlung & Beweise: Die Staatsanwaltschaft führt Einvernahmen, ordnet Gutachten an oder beantragt Zwangsmassnahmen beim einem unabhängigen Gericht, dem Zwangsmassnahmengericht (ZMG).
Wichtige Zwangsmassnahmen im Vorverfahren (Auswahl)
- Untersuchungshaft beantragen oder verlängern (art. 224 ff. StPO)
- Hausdurchsuchung (Art. 244 ff. StPO)
- Beschlagnahme (Art. 263 ff. StPO)
- Überwachung des Fernmeldeverkehrs (Telekommunikation) (Art. 269 ff. StPO)
- Bemerkung: Eine Hausdurchsuchung oder Beschlagnahme kann auch ohne Entscheid eines Zwangsmassnahmengerichts angeordnet werden.
Abschlussmöglichkeiten im Vorverfahren (durch die Staatsanwaltschaft)
- Nichtanhandnahme (Art. 310 StPO): Nach dem durchgeführten polizeilichen Ermittlungsverfahren. Wenn von vornherein klar ist, dass
- die fraglichen Straftatbestände nicht erfüllt sind
- oder bei fehlenden Prozessvoraussetzungen (z. Bsp. Verjährung der Straftat → Die Begehung der Straftat ist zu lange her).
- Einstellung (Art. 319 StPO): Nach durchgeführter Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft, wenn
- sich der Tatverdacht nicht erhärtet,
- die fraglichen Straftatbestände nicht erfüllt sind,
- Rechtfertigungsgründe (z. Bsp. Notwehr) vorliegen,
- keine Verfahrenshindernisse (z. Bsp. Verjährung, Immunität des Beschuldigten) bestehen oder
- aus Opportunitätsgründen auf eine Verfolgung verzichtet wird (z. Bsp. bei Geringfügigkeit der Schuld und Tatfolgen, Art. 52–54 StGB).
- Strafbefehl (Art. 352 ff. StPO): Vereinfachtes schriftliches Verfahren, wenn
- der Sachverhalt gestanden oder anderweitig geklärt ist und
- eine Sanktion in Form einer Busse verhängt wird
- und/oder eine Geldstrafe bis 180 Tagessätzen oder Freiheitsstrafe bis 6 Monaten in Betracht kommt.
- Wichtig: Der Strafbefehl ist beim Erlassen erst ein Urteilsvorschlag. Ohne Einsprache innert 10 Tagen wird der Strafbefehl zu einem rechtskräftigen Urteil.
- Anklage (Art. 324 ff. StPO): Erhebt die Staatsanwaltschaft beim zuständigen Gericht, wenn sie die Verdachtsgründe als hinreichend erachtet und ein Strafbefehl nicht möglich ist.
2. Das Hauptverfahren (erstinstanzliches Gericht)
Wichtige Grundsätze im Hauptverfahren
- Öffentlichkeitsprinzip (Art. 69 StPO): Die Verhandlung ist grundsätzlich öffentlich. Ausnahmen sind zum Schutz der Privatsphäre (z.B. von Opfern) möglich. Die Urteilsberatung ist geheim.
- Anklagegrundsatz: Das Gericht ist an den in der Anklageschrift umschriebenen Sachverhalt gebunden. Es darf nicht über Taten urteilen, die nicht angeklagt sind. Das Gericht darf jedoch einen anderen Straftatbestand als den in der Anklage genannten anwenden (z. Bsp. einfache Körperverletzung statt Tätlichkeit), solange es den Parteien das Recht zur Stellungnahme einräumt.
- Freie Beweiswürdigung (Art. 10 Abs. 2 StPO): Das Gericht würdigt die Beweise frei nach seiner aus der Verhandlung gewonnenen Überzeugung. Es ist nicht an formelle Beweisregeln gebunden.
Ablauf der Hauptverhandlung im Detail
Die Verhandlung wird von der Verfahrensleitung (i.d.R. Gerichtspräsident/in) geführt und gliedert sich wie folgt:
- Eröffnung: Feststellung der Anwesenheit, Bekanntgabe der Gerichtsbesetzung und Klärung von Vorfragen (z. Bsp. Gültigkeit der Anklage). Die Anklage wird in der Regel als bekannt vorausgesetzt.
- Beweisverfahren:
- Die beschuldigte Person wird zu ihrer Person und zur Anklage befragt.
- Das Gericht erhebt weitere Beweise. Es muss im Vorverfahren erhobene Beweise (z. Bsp. Zeugenaussagen) erneut erheben, wenn die unmittelbare Kenntnis für das Urteil notwendig erscheint, insbesondere bei Widersprüchen in den Akten oder wenn “Aussage gegen Aussage” steht (Art. 343 StPO).
- Parteivorträge (Plädoyers): Staatsanwaltschaft, Privatklägerschaft und Verteidigung stellen ihre Anträge und begründen diese. Es besteht ein Recht auf Replik und Duplik. Die beschuldigte Person hat das letzte Wort.
- Geheime Urteilsberatung: Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Der Gerichtsschreiber, der das Protokoll führt und das Urteil verfasst, nimmt mit beratender Stimme teil.
- Urteilseröffnung: Das Urteil (Schuld-/Freispruch, Sanktion, Kosten, Zivilforderungen) wird mündlich eröffnet und kurz begründet. Das schriftliche Urteilsdispositiv wird ausgehändigt oder zugestellt. Die detaillierte (anfechtbare) Urteilsbegründung folgt schriftlich innerhalb von 60 oder ausnahmsweise 90 Tagen.
3. Das Rechtsmittelverfahren
Rechtsmittel im Überblick
- Beschwerde (Art. 393 ff. StPO):
- Gegen Verfügungen und Handlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft.
- Gegen Verfügungen und Beschlüsse sowie die Verfahrenshandlungen der erstinstanzlichen Gerichte.
- Gegen einige Entscheide des Zwangsmassnahmengerichts.
- Frist: Beträgt nach Art. 396 StPO grundsätzlich 10 Tage.
- Berufung (Art. 398 ff. StPO): Gegen erstinstanzliche Urteile. Sie ermöglicht eine neue Prüfung von Sach- und Rechtsfragen.
- Ablauf: Innerhalb von 10 Tagen Berufung anmelden; nach Erhalt der schriftlichen Urteilsbegründung innert 20 Tagen die Berufungserklärung (Begründung) einreichen.
- Revision (Art. 410 ff. StPO): Gegen rechtskräftige Urteile bei Vorliegen besonderer Gründe (z.B. neue erhebliche Tatsachen/Beweismittel).
Wichtige Grundsätze im Rechtsmittelverfahren
- Rechtskraft: Ein Urteil wird formell rechtskräftig, wenn es nicht mehr mit einem ordentlichen Rechtsmittel (Berufung) angefochten werden kann. Es wird materiell rechtskräftig, wenn sein Inhalt für die Parteien bindend ist und nicht mehr neu verhandelt werden kann (ausser via Revision).
- Verbot der Verschlechterung (“reformatio in peius”, Art. 391 Abs. 2 StPO): Ergreift nur die beschuldigte Person (oder die Staatsanwaltschaft zu ihren Gunsten) ein Rechtsmittel, darf das Urteil nicht zu ihrem Nachteil abgeändert werden (z.B. keine höhere Strafe). Eine Ausnahme besteht, wenn neue, belastende Tatsachen bekannt werden.
Weiterzug an das Bundesgericht
Gegen letztinstanzliche kantonale Entscheide (i.d.R. Urteile des Berufungsgerichts) kann Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht geführt werden (Art. 78 ff. BGG). Frist: 30 Tage.
4. Abkürzende und alternative Verfahren
- Strafbefehlsverfahren: Siehe oben. Das häufigste Verfahren in der Praxis. Kommt in ca. 90 % der Fälle zum Tragen.
- Abgekürztes Verfahren (Art. 358 ff. StPO): Setzt ein Geständnis der beschuldigten Person und die grundsätzliche Anerkennung der Zivilansprüche voraus. Die Parteien handeln eine Anklageschrift und eine Sanktion aus, die das Gericht genehmigen muss. Nicht zulässig bei geforderter Freiheitsstrafe von über 5 Jahren.
- Übertretungsstrafverfahren: Bei reinen Übertretungen können je nach Kanton Verwaltungsbehörden zuständig sein und Strafverfügungen erlassen, die dem Strafbefehl ähneln.
5. Weitere interessante Aspekte
- Zivilansprüche (Adhäsionsverfahren): Die geschädigte Person resp. das Opfer kann sich als Privatkläger konstituieren und ihre zivilrechtlichen Schadenersatz- oder Genugtuungsforderungen adhäsionsweise direkt im Strafverfahren geltend machen.
- Strafvollzug: Nach Rechtskraft des Urteils ist der Strafvollzug (Vollzug von Strafen und Massnahmen) Aufgabe der Kantone und wird durch das StGB und kantonale Vollzugsgesetze geregelt.
B. Die Rollen der Rechtsvertretung im Strafprozess
Dieser Block beleuchtet die fundamental unterschiedlichen Aufgaben und Ziele der Anwälte, die das Opfer (Geschädigtenvertreter) und den Beschuldigten (Strafverteidiger) vertreten.
Zentrale Rechtsfragen, die im Text beantwortet werden:
- Was sind die drei Hauptaufgaben eines Geschädigtenvertreters (“Opferanwalts”)?
- Schutz und Unterstützung: Psychische Entlastung des Opfers, Begleitung zu Einvernahmen und Sicherstellung, dass die Schutzrechte des Opfers gewahrt werden.
- Durchsetzung der strafrechtlichen Interessen: Als Strafkläger (Privatkläger) am Verfahren teilnehmen, Akten einsehen, Beweisanträge stellen und auf eine Verurteilung hinwirken.
- Durchsetzung der zivilrechtlichen Ansprüche: Im Rahmen des Strafverfahrens (Adhäsionsverfahren) als Zivilkläger (Privatkläger) Schadenersatz und Genugtuung (Schmerzensgeld) für das Opfer einfordern.
- Welche besonderen Schutzrechte geniessen “Opfer” im Strafverfahren?
- Das Gesetz unterscheidet zwischen “Geschädigten” und “Opfern”. Opfer (Personen, die in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität stark verletzt wurden) haben besondere Rechte, z. B. das Recht, je nach Umständen nicht mit dem Täter konfrontiert zu werden, von einer Person des gleichen Geschlechts einvernommen zu werden und Anspruch auf kostenlose Hilfe von Opferberatungsstellen.
- Was ist die Aufgabe und das Ziel eines Strafverteidigers?
- Der Strafverteidiger ist ausschliesslich dem Beschuldigten verpflichtet. Sein Ziel ist das bestmögliche Ergebnis für seinen Mandanten (Freispruch, Einstellung oder eine milde Strafe).
- Welche Funktion erfüllt der Strafverteidiger im Rechtsstaat?
- Er agiert als Korrektiv zur Staatsanwaltschaft. Er stellt sicher, dass die Rechte des Beschuldigten (z. Bsp. Recht zu schweigen, keine Pflicht zur Mitwirkung) gewahrt bleiben und ist der Wächter des Grundsatzes “in dubio pro reo” (im Zweifel für den Angeklagten), indem er aktiv nach Entlastungspunkten sucht und Zweifel an der Schuld sät.